Drama um die RAF
Hängt ihn neben die rote Syphilis!
Was kommt nach dem deutschen Volkzorn? Stuttgart widmet der RAF einen Theater-Schwerpunkt: Liebe ist kälter als das Kapital – Endstation Stammheim.
Von Till Briegleb
Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe haben ein schönes Grab. Geschmackvoll bepflanzt liegt es auf dem idyllischen Dornhaldenfriedhof am Südhang des Stuttgarter Talkessels. Rotdorn, Rotahorn, rote Geranien und rote Rosen mögen einen versteckten Hinweis auf die politische Gesinnung der RAF-Gründer geben, aber schon das rührende rote Totenlichtlein zerstört sofort die Assoziation revolutionärer Farbspiele.
Früher lag das Gemeinschaftsgrab mit der schlichten Platte, auf der nur die Namen und „Stuttgart Stammheim, 18. Oktober 1977″ steht, am äußersten rechten Rand isoliert im Grün, aber mittlerweile ist Grabfeld 99 dicht belegt. Ein freier Platz Sicherheitsabstand in jede Richtung wird noch gewahrt. Direkt neben den Terroristen will wohl doch keiner bestattet werden. Ansonsten erweckt die letzte Ruhestätte der drei Selbstmörder den Eindruck, als seien hier Menschen begraben, die ihrer Nachwelt etwas bedeuten.
Das war bekanntlich nicht immer so. In den Zeiten des deutschen Volkszorns empfanden anständige Deutsche Bezeichnungen wie „Schwein“ und „Sau“ für die Gefangenen in Stammheim als beleidigend für die Tierart. Davon zeugt auch eine kleine Nebenglosse des Deutschen Herbstes, die im Baader-Meinhof-Jubiläumsjahr 2007 am Stuttgarter Staatstheater zum Kernprojekt eines RAF-Schwerpunktes wurde, mit dem Intendant Hasko Weber jetzt seine neue Spielzeit eröffnet hat.
Claus Peymann, in den entscheidenden Jahren Schauspielintendant am Stuttgarter Staatstheater, hatte 1977 ein Bittschreiben der Mutter von Gudrun Ensslin, Geld für eine Zahnbehandlung der Gefangenen zu spenden, ans Schwarze Brett gehängt und selbst 100 Mark gespendet. Als dies von einigen Medien hysterisch aufgebauscht wurde, erhielt Peymann rund 600 Schmähbriefe und Morddrohungen.
Die vier Aktenordner aus dem baden-württembergischen Landesarchiv, in denen diese Zeugnisse dokumentiert sind, hat das Regiekollektiv Rimini-Protokoll nun als Ausgangspunkt einer ihrer typischen Dokumentarkomödien genommen. Peymann selbst liest in eitlem Stolz, aber durchaus unterhaltend, die schönsten Stellen aus den „Peymannbeschimpfungen“ vor, allerdings nur als riesige Videoeinspielung auf der Bühnenrückwand: „Ihnen gehört die Mistgabel auf den Kopf gearscht, dass Ihnen die Socken platzen“ schreibt ein Lynchjustizler im Geiste.
Weniger grotesk formulieren es ordentliche Deutsche, die meinen, dass Peymann neben der „roten Syphilis“ aufgehängt gehört, und auch der urdeutsche Ausbruch „Sie gehören vergast“ fehlt nicht. Ein Briefeschreiber, beheimatet im Kaffeebergweg 12 in Schwäbisch-Gmünd, hoffte dagegen, dass Peymann einmal einige „Familienmitglieder entführt und abgeknallt werden“. (mehr…)